Oilenköper
Der Corona-Frust bricht sich Bahn – 700 Leute rocken unaufhaltsam das Open Air Seedorf 2022
Kurz und knackig ohne großes Palaver eröffnet Heiko am Samstag gegen 16 Uhr das diesjährige Open Air Seedorf. Der Vorsitzende des veranstaltenden Vereins ist genauso schnell von der Bühne verschwunden, wie die Rede kurz war. Platz für die Bands. Und die liefern ab!
Skrupellos aus Lüneburg macht den Anfang. Harte Gitarren, die am Metal kratzen, aber noch Rock sind, lassen sich auch von anfänglichen Technikproblemen nicht ausbremsen. „Wir müssen das jetzt mal regeln“, meint Gitarrist Kevin und einige Minuten später läuft die Maschine an. Es geht in den Texten gegen Krieg und Hass, aber auch um die persönlichen Päckchen, die jeder mit sich rumschleppt. Musikalisch geht es im Wechsel zwischen Powerballaden und Hochgeschwindigkeitsrock, verziert mit melodischen Parts. Frontmann Dennis animiert die Leute – und die kommen erst zaghaft, dann immer mehr nach vorne. Die ersten Haare wehen.
Durch die technischen Probleme beim Opener und unvorhergesehenen Schwierigkeiten beim Umbau, geht Razzor aus Uelzen mit reichlich Verspätung an den Start, die den ganzen Ablauf weiter beeinflussen wird. Die klassischen Metaller liefern dennoch ein absolut souveränes Heimspiel ab. Der Wechsel an der Gitarre nach dem Ausstieg von Manuel, der jetzt bei der Secret Salt Squad am Start ist, beeinflusst die Qualität des Dargebotenen in keiner Weise. Sänger André ist stimmlich bei 110 Prozent und lässt endgültig Open-Air-Atmosphäre aufkommen. Hingucker des Tages: Marian am Bass in seinem Fledermaus(?)-Anzug.

Und dann bricht das Gewitter los. Gorelem aus Berlin waren kurzfristig eingesprungen und kotzen ihren Anfahrtsfrust (anderthalb Stunden Stau) in das Infield. Dass drei Mann so eine Soundwand erzeugen können, weiß man zwar spätestens seit Motörhead, doch hätte man das auf der beschaulichen Pferdewiese nicht unbedingt erwartet. Das Hauptstadt-Trio ist aber überhaupt nicht schlecht gelaunt und hat einen Riesenspaß auf der Bühne. Brettharte Songs drücken den Pit zusammen. Es wird gemoscht! Die ersten Frisuren vor der Bühne verabschieden sich und als zum Schluss auch noch „Ace of Spades“ den Weg ins Set findet, gibt es kein Halten mehr.
Etwas ruhiger startet die Hamburger Formation Rockenbolle. Die Leute scheinen noch kaputt vom Berliner Stoner-Rock zu sein und wagen sich erst nach ein paar Songs wieder zahlreicher nach vorne. Das von Covern dominierte Set der Punk’n’Roller erweist dann als äußerst tanzbar. Höhepunkte sind auf jeden Fall „Great Balls of Fire“, das man auch aus dem Film Top Gun kennt und ein hammerhartes Motörhead-Medley. Motörhead scheint überhaupt Thema des Tages zu sein. Und dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden.
Das große Finale der letzten Drei läuten dann die Kamikaze-Punkrocker von EXAT ein. Die Lüneburger schmettern Klassiker wie „Hansestadt-Rock’n’Roll“ und „Auf ein Neues“ und neue Songs wie „Das ist jetzt dein Leben“ und „Am Ende siegt immer das System“. Das Pogo-Potenzial kommt zu voller Entfaltung. Hüte werden zertrampelt, Nasen bluten. Die Boxen geben schon bedenkliche Töne von sich, halten aber durch. Was zur Hölle ist hier los? Zweieinhalb Jahre Corona-Frust brechen sich Bahn, alle rasten komplett aus!
Clemens setzt in der Ankündigung zu „Warum bist du still?“ noch ein wichtiges Statement und fordert zum Widerstand gegen die AfD und andere Rechtsextreme auf. Das passt nicht allen vor Ort, doch der große Jubel lässt die wenigen stumm bleiben. Nach fast einer Stunde Killer-Punk wissen die Leute, warum das Kamikaze ist. Die Band hat Bock und zieht gnadenlos durch.
Der Oilenköper muss das Festival dann leider verlassen, es folgen noch Kraftakt und Mainotower, beide ebenfalls aus Lüneburg. Was bleibt als Fazit? Fast 700 Besucher plus Bands und Helfer trinken rund 1400 Liter Bier und vertilgen 700 Bratwürste sowie 20 Kilo Fleisch. Die Energie wird direkt in Bewegung umgesetzt. Heiko sagt am nächsten Tag: „Es war ein megageiler Abend und so schnell vorbei. Damit hat niemand gerechnet!“ Der Zeitverlust sei zwar ärgerlich gewesen, doch die Bands waren letztendlich sehr zufrieden. „Die meisten Gäste haben sich beim Rausgehen für den tollen Tag bedankt“, freut sich der Vereinsvorsitzende.
Der Oilenköper
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